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Das Brautpaar aus Tilleda

In Tilleda wohnte ein armer, rechtschaffener Tagelöhner, der hatte eine Tochter, die mit einem redlichen Burschen verlobt war, ebenso arm wie sie selbst. Zur Hochzeit, die am nächsten Tage bevorstand, waren einige Gäste geladen; aber das Brautpaar nahm mit Schrecken wahr, daß die kleine Küche an Töpfen, Tellern und Schüsseln nicht mehr enthielt, als gerade für eine Familie, und stand in großer Betrübnis und wußte sich keinen Rat. Der Vater aber sprach: „Wißt ihr was? Geht auf den Kyffhäuser und borgt von der verzauberten Prinzessin." Es lag in diesen Worten eine trübe Wehmut und ein bitterer Hohn über die drückende Armut. Und die jungen Leute gingen wirklich miteinander auf den Kyffhäuser. Oben stand auch schon die Prinzessin, als hätte sie bereits gewartet, und grüßte freundlich. Nun waren sie auch gleich im Berg, sie wußten nicht, wie, wurden gespeist und getränkt und empfingen eine Menge nützlichen Hausrates, Teller, Schüsseln, Löffel, soviel sie nur tragen konnten, so daß sie ganz mühsam, als sie nun dankend die gütige Gabenspenderin verlassen hatten, wieder nach Tilleda mit ihren gefüllten Körben niederschritten. Sie waren so sehr mit sich selbst und ihrem nahen Glück beschäftigt, daß sie gar nicht bemerkten, wie manches um sie her verändert war, bis sie im Orte selbst ankamen und erschrocken stillstanden, denn sie kannten ihn kaum wieder. Ihres Vaters Hütte war gar nicht mehr vorhanden, sondern an ihrer Stätte lag ein großer Ackerhof. Eine Menge Leute sammelten sich um das Paar, in ganz anderer Tracht, lauter unbekannte, fremde Gesichter, die es ebenso verwundert anstaunten, als jene selbst verwundert um sich blickten. Da schritt der Prediger durch die Menge, sah die beiden Leute und befragte sie mit Teilnahme, wer sie seien und woher sie kämen. Sie sagten ihm, daß sie ja erst vor wenigen Stunden auf den Kyffhäuser gegangen und daß sie sich die Veränderung, die sie ringsumher wahrnähmen, nicht zu erklären wüßten. Der Pastor nahm sie in seine Wohnung und schlug im Kirchenbuch nach; da er denn fand, daß vor zweihundert Jahren ein Brautpaar auf den Kyffhäuser gegangen und nicht wieder in den Ort zurückgekommen sei. Da weinten die so alt Gewordenen und ließen sich von dem Pfarrer einsegnen. Dann gingen sie auf den Kirchhof, wo die Genossen ihrer Zeit begraben lagen. Mit Scheu mied das junge Geschlecht das greise Paar, und nach drei Tagen fand man auf dem Kirchhof ihre Leiber in Asche zerfallen.

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