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Der Taufwein

Ein armer, lustiger Holzbauer in Tilleda saß mit seiner Gevatterschaft - er hatte eben das achte Kind getauft, in bester Laune beim Schmaus. Er bewirtete die Gäste freigiebig mit jungen Raben, die statt gebratener Tauben aufgetragen wurden, gab auch einen heimischen Riesling dazu, der aus Kyffhäuser Trauben gewonnen war. Sie konnten zwar nur mit Hilfe einer besonders starken Kelter zerquetscht werden, trieben auch, als Wein genossen, das Wasser aus den Augen und machten die Därme steif wie Ottern, wenn der Frost einfällt. Doch mundete der Zungenmetzer den Holzbauern so wohl, daß sie sich nach mehr umsahen, als der kleine Vorrat schnell zu Ende war, wodurch der Kindtaufvater in einige Verlegenheit geriet. Er kratzte sich den stoppeligen Kopf, lief vors Haus und von da in die Küche, wo seine älteste Tochter, ein flachsköpfiges Ding von dreizehn Jahren, am Herde saß. Da rief er halb launig, halb ärgerlich zu: "Der Wein ist zu Ende. So hol uns noch einen Krug aus dem Keller!" Welchen Keller er meine, fragte sie verwundert, worauf der sie beschied, ohne daß ihm der Schalk das zerkritzelte Gesicht veränderte: "Aus dem Ritterkeller droben am Kyffhäuser. Wirst ihn wohl finden. Und alsdann, nicht lange gefackelt!" So nahm das Kind in seiner Einfalt den Auftrag ernst, schwenkte den Henkelkrug aus und stieg sorglos den Berg hinan. Fand auch wirklich in einiger Höhe am Abhang einen halb verwachsenen Kellereingang und dabei, den Kopf in die Hand gestützt, eine ältliche Beschließerin in lang herunterfließenden Gewändern, die in der Hüfte mit einem alten, schönen Gurt zusammengefaßt waren. Sie schaute bei den behenden Tritten des

Kindes empor, mit fremder, tiefer Stimme fragend: „Willst Wein holen aus dem Ritterkeller?" Doch die Kleine beklommen und ängstlich, sie wollte wohl, aber Geld habe sie keins - worauf es wie freundlicher Sonnenblick über das ernste Antlitz der Schaffnerin lief: „Schon recht - so folge mir nach!" Sie gingen in den Berg hinein, einen engen Gang entlang, aus dessen rohen Wölbesteinen hier und da die Tropfen klimperten, und kamen an eine Kellertür aus Eichenbohlen. Als die aufgeschlossen war, tat sich, von Ampeln dämmerig erhellt, ein schöner geräumiger Keller auf, durch dessen Mitte, der ganzen Länge nach, ein Weg aus sauberen Platten führte. Zu beiden Seiten lagen, auf ungefügen Böcken hübsch aufgereiht, gewaltige Stückfässer mit seltsamen Marken unterschiedlich bezeichnet. Die Schaffnerin leuchtete prüfend mit der Ampel an ihnen entlang, wählte und zapfte behutsam aus knarrendem Holzhahn den Henkelkrug voll Wein, wobei es im Rinnen und Kräuseln funkelte wie eine vom Abendgold durchsonnte, lebendige Quelle. „Ein Lautertrank!" sagte sie lächelnd. „Den bring deinem Vater und sag, daß er ohne Sorge schicken möge, wenn er mit redlichem Anhang wieder ein Festlein begeht. Nur merkt: Kein Mensch darf erfahren, wo euch der köstliche Brunnen rinnt; auch müßt ihr alle Eigensucht abtun, daß ihr nicht um Groschen verkauft, was ihr aus fröhlichem Erbarmen empfangt."

Das Mädchen ging dankbar von dannen, unterwegs die Worte fleißig wiederholend, die ihm aufgetragen waren. Und als der volle Henkelkrug auf dem Tisch erschien, wollte das Wundern und Fragen kein Ende nehmen. Der Holzbauer aber schlug die Neugierde mit lustigen Worten zurück und ließ die Gottesgabe in einem lieblichen Strahl sanft andächtig in die Becher fallen. Erst labten sie Augen und Nasen am Glanz und Gedüft, leckten dann mit vorgespitzten Lippen, schwenkten das Schlücklein genießerisch auf der Zunge und ließen es zuletzt in einer feinen Schnur in die Kehle rinnen wie Kenner bei der Weinprobe. So wonnig und erlesen deuchte sie der Genuß, daß sie sogar alle versprengten Stäubchen mit Sorgfalt aus den grannigen Schnauzbärten sogen. Von dem Trank kam eine warme Sonne in ihr Herz und weckte alle Frühlingsgeister, die unter Mühsal und Sorge begraben lagen. Danach war´s gar lustig zu sehen und zu hören, wie sich den sonst so wortkargen Waldkäuzen die Zungen lösten zu allerlei Liedern, sanften und lärmenden, und wie sie am Ende sogar galant und kratzfüßig wurden gegen die jungen Gevatterinnen. Die kleinen Stichflammen ausbrechender Eifersucht ließ der Kindtaufvater nicht aufkommen, sondern dämpfte sie rasch mit mutterwitzigen Worten, machte auch durch einen glücklichen Scherz dem Feste zur rechten Zeit ein Ende, worauf sich die Gäste im Dorf verloren und durch lautes Juhugeschrei den Nachbarn bezeugten, wie köstlich der Kindtaufwein ihnen allen gemundet hatte. Der Holzbauer wußte sich von nun an aller Sorge um einen guten Tischtrunk erhoben; deshalb taufte er unentwegt weiter, mindestens einmal im Jahr, und auch dazwischen pflegte er bei passendem Anlaß - zu Pfingsten oder Weihnachten - noch ein fröhlich Fest einzulegen. Dabei ward ihm die angenehme Beihilfe aus dem Ritterkeller niemals versagt; denn er hatte seine Zunge im Zaum, besaß auch die Macht über sich selbst, daß er die liebe Gottesgabe redlich mit seinem Anhang teilte, doch nie daran dachte, sie schnöde zu verpfennigen. Gleichwohl sah man seinen geheimen Segen mit Neid und brachte allerlei feindselige Mutmaßungen und dunkle Verleumdungen in Umlauf, geeignet, den uneigen mütigen Mann als Dieb und Zauberlehrling anzuschwärzen. Der schlaue Schankwirt des Dorfes begnügte sich nicht mit Reden, sondern legte sich fleißig auf die Lauer, und als er zwei Tage vor Pfingsten des Holzhauers Tochter wieder einmal mit dem Henkelkrug verstohlen aus dem Dorf wischen sah, folgte er ihr auf Seitenwegen den Berg hinan und ergründete unbemerkt das Geheimnis. Sagte aber niemand ein Wort, sondern berechnete mit Kreide an der Stubentür, wieviel er aus einem Ohm Ritterwein lösen könne, wenn er ihn zünftig mit Wasser versetze. Und am nächsten Abend zog er, die Probe aufs Exempel zu beginnen, mit dem Schubkarren und einem ansehnlichen Faß unauffällig zum Dorf hinaus und plagte sich auf versteckten Umwegen die Höhe hinauf zum Kellereingang. Doch hatte er sich, nach der Beschließerin ausschauend, noch nicht einmal den Schweiß von der Stirn gewischt, als ihm unsichtbare Hände zum Empfang abwechselnd von links und rechts je drei Maulschellen in sein rundliches Gesicht knallten. Dann hoben dieselben unsichtbaren Hände die Tonne auf und ließen sie mit einem unheimlichen Schwung den Abhang hinunterlaufen. Damit aber der geschäftstüchtige Mann nicht allzuweit hinter seinem Eigentum zurückbleibe, trat ihn fast gleichzeitig ein geheimnisvoller Fuß so gewaltig gegen die Hinterbacken, daß er in schier unmenschlichen Sätzen dem hüpfenden Fasse folgte und zuletzt anfing, sich zu überschlagen gleich einem angeschossenen Kaninchen.

So schaute er anderntags aus einem Kumt von Pflastern und nassen Aufschlägen gar trübselig in die schöne Pfingstwelt und hatte viel Mühe, die Gäste glauben zu machen, er habe sich die zahlreichen Beulen und Schrammen bei einem Sturz über die steile Kellertreppe zugezogen.

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